Dr. Jürgen Schneider: Offener Brief an die Österreichische Gesellschaft für Phytotherapie
Krankheit und Behandlungsbedarf lassen sich nicht durch Listenmedizin (Heilmittelverzeichnis) wegdiskutieren. Durch immer restriktivere Eingrenzungen wurde insbesondere die Verordnung pflanzlicher Arzneimittel zur Behandlung subakuter Erkrankungen immer weiter zurückgedrängt, und die Ärzte gezwungen, zu teuereren und zumeist nebenwirkungsreicheren Arzneimitteln zu greifen. Inzwischen scheint nicht nur den Krankenkassen jedes Mittel Recht zu sein, die Übernahme von Arzneimittelkosten auch bei gut erforschten und in ihrer Wirksamkeit sauber dokumentierten Naturheilmitteln abzulehnen - auch die Bundesbehörde greift zu fragwürdigen Methoden bei der Marktbereinigung.
Fünf Pharmafirmen in Deutschland und Österreich wurden, da sie für Kava-Kava
und kavainhaltige Arzneispezialitäten Zulassungsinhaber in Österreich sind,
angeschrieben, daß das BMSG die "Einleitung des amtswegigen Verfahrens zur
Aufhebung der Zulassung" beabsichtigt.
Der Ausschuß für Arzneimittelsicherheit hat die vom BfArM veröffentlichte
Darstellung übernommen und die Aufhebung empfohlen. Eine
Sachverhaltsdarstellung hat nicht stattgefunden.
In einer bislang beispiellosen Aktion informierte das Bundesinstitut für
Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Deutschland die Presse am 8.
November 2001 über die Einleitung eines sogenannten Stufenplanverfahrens zu
den von der Arneipflanze Kava (Piper methysticum) ausgehenden Leberrisiken.
Führende Mitarbeiter des BfArM traten unter anderem in Gesundheitssendungen
des Fernsehens auf und nahmen das Ergebnis der laufenden Untersuchung de
facto vorweg: Kava soll in Deutschland wegen des angeblich untragbaren
Leberrisikos vom Markt verschwinden. In den Apotheken sorgten die
Veröffentlichungen in der Tagespresse für erhebliche Verunsicherung,
Patienten brachten angebrochene Packungen mit der Forderung nach
Rückerstattung zurück. Das Apothekenpersonal wurde mit der Situation völlig
alleingelassen. Wie ernst ist die Lage aber wirklich zu bewerten? Eine
nähere Analyse der wirklich aufgetretenen Fälle zeigt auf, dass die Presse
auf der Basis fehlerhafter und unsauber recherchierter Daten informiert wurde. Der Schaden an der Phytotherapie dürfte kaum rückgängig zu machen sein.
Weitergabe bekannt falscher Daten an die Presse
Bei vielen der öffentlich gemachten Nebenwirkungsfällen erscheint die
Zuordnung der Ursache zu Kava durch das Bundesinstitut zu großen Teilen
nicht nachvollziehbar und willkürlich. Darüber hinaus hat das BfArM bei der
Bewertung der Fälle vielfach vorliegende Informationen nicht berücksichtigt,
zum Beispiel hinsichtlich anderer Ursachen. Ein Extrembeispiel dürfte ein in
der Öffentlichkeitsarbeit des BfArM immer wieder zitierter angeblicher
Todesfall durch Kava sein: hier war dem Amt bekannt, dass die Ursache dieses
Leberversagens langjähriger Alkoholmissbrauch war, und Kava an der Entstehung
der Lebersymptomatik nicht beteiligt war! Dennoch wurde und wird dieser Vorfall
vom BfArM als Begründung für die Notwendigkeit des Verbotes von Kavapräparaten
herangezogen.
Für die Tatsache, dass dem BfArM dieser Zusammenhang und auch andere,
für die Bewertung der Einzelfälle wichtige Daten bekannt waren,
liegen klare Beweise vor. Über die Gründe, warum elementare Daten
zur Risikobewertung nicht an Presse und Herstellerfirmen weitergegeben wurden,
kann nur spekuliert werden. Erzielt wurde so jedenfalls das Bild einer
erheblichen Gefährdung der Bevölkerung durch die Einnahme
pflanzlicher Arzneimittel.
Ein Verbot von Kava würde das Risiko von Lebernebenwirkungen steigern
In der Information der Öffentlichkeit bezog sich das BfArM auf 24
schwerwiegende Verdachtsfälle von Lebernebenwirkungen durch Einnahme
Kava-haltiger Arzneimittel. Bei genauer Untersuchung der einzelnen
Fälle verbleibt allerdings nur ein einziger, seit 1998 bekannter Fall
übrig, der mit hoher Wahrscheinlichkeit wirklich mit der
bestimmungsgemäßem Einnahme eines Kava-Präparates
zusammenhing. In dem betreffenden Fall war es zu einer allergischen
Reaktion gekommen - ein Vorkommnis, das prinzipiell mit jedem Arzneistoff
möglich ist.
Auf der Basis der vorliegenden Daten errechnet sich eine Wahrscheinlichkeit,
dass Lebernebenwirkungen bei einem Patienten unter 125 Millionen
Anwendungstagen auftreten können. Es stellt sich also die Frage, wie
diese Zahl im Verhältnis zu anderen Arzneimitteln aus dem gleichen
Anwendungsgebiet zu bewerten ist, Arzneimitteln also, die bei einem Verbot von
Kava verstärkt zum Einsatz kommen würden. Hier kann die gleiche
Nebenwirkung bereits bei einem von 475.000 Patienten auftreten - mithin also
um den Faktor 250 mal häufiger als bei Einnahme des pflanzlichen
Arzneimittels. Ein kurzsichtiges Handeln seitens der Bundesbehörden kann
somit erhebliche gesundheitsökonomische Folgen nach sich ziehen.
Abschaffung der Phytotherapie durch die Hintertür
Marktbereinigung mittels Medien-Kampagnen: die deutsche Gesundheitspolitik
hat zweifellos dazugelernt. Dies ist nicht nur im vorliegenden Fall zu
erkennen: die schleichende Demontage der Phytotherapie wurde nie zuvor so
deutlich. Auch die österreichische Lösung, sich kritiklos ohne
Prüfung anzuschließen, leistet einen entsprechenden negativen
Beitrag. Nicht nachvollziehbare Kriterien in der Definition der
"Wirtschaftlichkeit" leisten ihr Übriges.
Im Gesundheitssektor wird die derzeitige, gegen Naturheilmittel mit
nachgewiesener Qualität und Wirksamkeit gerichtete Politik keine
Kosteneinsparungen bringen. Die Phytotherapie hat ihren Platz vor allem bei
Beschwerden milder Ausprägung, bei denen eine rechtzeitige Intervention
die Entstehung schwerwiegenderer und in der Behandlung kostenträchtigerer
Probleme verhindern kann. Zwingt man die Ärzte durch restriktive
Listenmedizin (Streichung aus dem Kassenverzeichnis) oder - wie im Fall von
Kava - durch medienwirksame Demontage ungeliebter Phytopharmaka zum
Ausweichen auf stark wirksame und stark "nebenwirksame" Alternativen, so
potenzieren sich die Kosten im Gesundheitswesen allein aufgrund der dann
notwendigen Behandlung von Erkrankungen, die erst durch die zu frühe
Gabe stark wirksamer Pharmaka ausgelöst wurden. Beispiele hierfür
gibt es in der Medizin in umfangreichem Maße.
Im Falle von Kava würden die Therapeuten durch ein Verbot des
pflanzlichen Arzneimittels auf chemisch definierte Alternativen ausweichen
müssen, für die ein 250fach höheres Risiko der Entstehung
eben der Nebenwirkung besteht, die zum Verbot von Kavapräparaten
führte. Die Folgekosten weiterer (und für Kava unbekannter)
Nebenwirkungen wie Abhängigkeit und Ausfall von Arbeitszeiten sind
hierbei noch gar nicht berücksichtigt.
An das Gesundheitsministerium ist die dringende Aufforderung zu richten, der
erforderlichen Sorgfaltspflicht in der Bearbeitung von Verdachtsfällen
auf Nebenwirkungen gerecht zu werden. Von Herstellerfirmen wird zu Recht die
Umsetzung der neuesten europäischen Richtlinien zur Pharmakovigilanz
gefordert. An diesen Maßstäben muss sich auch die oberste
Bundesbehörde messen lassen.